So ist es nun mal, so ist Sport: Das Zürcher Publikum gab alles, die Sportler auch. Doch zum Schluss bekam das Publikum nicht das, was es wollte. Nämlich die Localheroes zuoberst auf dem Podest. Entsprechend ernüchternd die Stimmung nach dem letzten Rennen in der Nacht auf den Sonntag.
Team-Work bringt den Erfolg
Nach einer grandiosen letzten Américaine über 250 Runden zeigte der belgische Américaine-Weltmeister Kenny De Ketele zusammen mit seinem holländischen Partner Peter Schep welches die neuen Meister von Zürich sind. Die beiden Platzhirsche Franco Marvulli und Tristan Marguet, die in den Nächten zuvor grossartige Rennen geboten hatten, ja sogar einen inoffiziellen Weltrekord über den fliegenden Kilometer auf der Bahn einfuhren, belegten in der Schlussabrechnung lediglich Platz 3 und wurden empfindlich geschlagen. Die 56. Sixdays von Zürich sind Geschichte: Grossen Sport hatten die Veranstalter im Vorfeld versprochen. Grosser Sport wurde geboten. Olé, Olé oder Oh je, Oh je? Wie auch immer: Weiter geht die wilde Fahrt. Die nächste Sixday-Nights Zürich: 27. bis 30. November 2013, Hallenstadion Zürich.
Im September 2013 ist definitiv Schluss -Alexander Aeschbach nach 30 Jahren im Radsport.
Auf dem 10. Rang beendete der 38-jährige Dürrenäscher mit seinem jungen Partner Jan Keller sein letztes Zürcher Sechstagerennen. Von insgesamt 92 Sixjours konnte Alexander Aeschbacher acht gewinnen. Sein letzter Triumph, 2010 in Grenoble mit Franco Marvulli als Partner, mit dem er 2004 Américaine-Europameister wurde. Die Emotionen kamen hoch als „Aeschbi“ vor den Fans, den Offiziellen uns sämtlichen Profis, die mit ihren Velos Spalier standen, verabschiedet wurde. Zwei magische Runden nur für ihn.
„Ich muss und will das direkt richtigstellen: Ich verabschiede mich in Zürich nicht definitiv vom Radsport. Letzthin tauchte auf Facebook ein Bild auf, wie ein Pferd mein Velo wegzieht. Solche Bilder enttäuschen mich einfach. Andere Fahrer werden gross verkauft, obwohl sie Dreck am Stecken haben. Ich bin seit 30 Jahren im Radsport, hab immer geackert wie ein Esel. Ich war nie Doping-positiv und war immer für die jungen Fahrer da. Irgendwie ist das schon sehr frustrierend, wenn man am Ende der Karriere einfach so abgeschrieben wird. Dabei will ich Anfang des nächsten Jahres noch ein bis zwei Sechstagerennen fahren. Zum Beispiel in Kopenhagen. Nach den Sixdays in Zürich möchte ich noch ein paar Strassenrennen fahren. Vielleicht reicht es ja noch für eine Medaille an den Schweizermeisterschaften. Doch im September 2013 ist dann definitiv Schluss. Um mich auf diese Zeit vorzubereiten hab ich schon mal angefangen bei meinem Helmsponsor zu arbeiten. Ich bin Aussendienstler und zuständig für den Vertrieb in der Schweiz. Eigentlich bin ich ja gelernter Schreiner, doch zurück auf meinen Beruf möchte ich eigentlich nicht mehr. Die Arbeit für meinen Helmsponsor macht mir grossen Spass – ich lernte die Schweiz auf eine ganz neue Art kennen und kam an Orte, an denen ich bisher noch nie war. So pendle ich zwischen der Schweiz und Deutschland. Meine Freundin und unser gemeinsamer Sohn Landis (8) leben in der Nähe von Stuttgart. Landis ist nach Floyd Landis getauft. Wir wussten ja damals nicht, dass Landis so tief in den Dopingsumpf gerät. Und dass er negativ so viel Furore macht war natürlich nicht gerade vorteilhaft. Zum Glück will Landis nicht Veloprofi werden, er spielt lieber Fussball. Ich würde ihm den Weg zum Velofahrer nie empfehlen. Denn Aufwand und Ertrag in unserem Sport steht in keinem Verhältnis. Nur wenige Fahrer können wirklich vom Sport leben und der Trainingsaufwand ist enorm. Mir ist es viel wichtiger, dass Landis gut ist in der Schule und eine anständige Ausbildung machen kann. Velofahren ist schön und gut, aber die Szene ist wahnsinnig schwierig. Früher habe ich mit dem Fahren von Sechstagerennen einen grossen Teil meines Geldes verdient. Letztes Jahr dann die Misere: Ich erhielt einen Fahrer, der total überfordert war. Für mich ist eine Welt untergegangen, ich habe diese Niederlage auch nie richtig verdauen können. Eigentlich hätte ich letztes Jahr mit Franco Marvulli fahren sollen, doch es kam anders. Der Veranstalter entschuldigte sich dann auch bei mir, allerdings erst 10 Monate später. Dieses Jahr fahre ich mit Jan Keller. Ich halte ihn für einen talentierten Fahrer, der sehr gut auf die Zähne beissen kann. Und das braucht es einfach in unserem Sport. Durchhaltewillen und Kampfgeist. Ich habe manchmal einfach das Gefühl, ich bin viel zu lieb für diesen Sport. Ich habe viel gelernt in den letzten Jahren. Ich bin sicherlich auch ruhiger geworden. Ich muss nicht mehr hochjauchzend über die Rennbahn flitzen. Auch wenn ich mich mal schlecht fühle, so sag ich das und drehe nicht mit einer Bronchitis Runden nur weil der Veranstalter das so möchte. So hab ich zum Beispiel nach einem Sturz in Moskau einen Zahn verloren und bin noch weitergefahren. Später hat sich herausgestellt, dass ich eine Hirnerschütterung hatte. Ich bin immer wieder für meine Partner aufs Velo gestiegen, nun bin ich einfach müde von diesem Sport. Im nächsten September ist Schluss. Dann fahre ich vielleicht mit einem Veloanhänger für die Helmfirma von Laden zu Laden und erzähle, wie wichtig der Helm im Radsport ist“.
By, By Steher-Urgestein Peter Jörg
Peter Jörg ist das Urgestein im Lager der Steher. 41 Jahre alt wird er in drei Monaten. Aber er beherrscht sein Metier noch immer, wie sein Sieg in der ersten Nacht zeigte. Dass er noch immer eine so gute Figur macht, verdankt er natürlich auch seiner Vorbereitung. Der gelernte Maurer galt schon immer als Marathonmann. Seit er als Schüler erstmals startete, hat er minutiös wie ein Buchhalter Statistik geführt über Trainings- und Rennkilometer, gegen700 000 sind es inzwischen geworden. Für die Sixday-Nights hat er seit Ende September über 5000 km abgespult, auf der Strasse und dank bis zu vierstündigen Sitzungen auf der Rolle. Er will schliesslich so von der Hallenstadionbühne abtreten, wie sich das für einen fünffachen Schweizermeister geziemt. Jetzt heisst es, in der Privatwirtschaft Fuss zu fassen, was bei der gegenwärtigen Situation nicht einfach ist. „Ich bin auf Jobsuche, aber es hat wenig Stellen», stellt Jörg denn auch ohne Umschweife fest. Er hofft, dass seine Bewerbung bei einem grossen Logistik-Unternehmen in Deutschland, das europaweit 1100 Mitarbeiter beschäftigt, von Erfolg gekrönt ist. «Dann», sagt er, «könnte ich Schicht arbeiten und doch noch etwas Zeit finden zum Training und hie und da auf der Offenen Rennbahn einspringen“. Peter Jörgs Sorge: „Die Steherei blutet bei uns aus und niemand unternimmt etwas dagegen“.
Schlussresultate des 56. Zürcher Sixday Nights:
Schlussklassement Profis:
1. Kenny de Ketele / Peter Schep (BE/NE) 190 Punkte
2. Danilo Hondo / Roger Kluge (DE) 175 Punkte
Eine Runde zurück:
3. Franco Marvulli / Tristan Marguet (CH) 302 Punkte
4. Silvan Dillier / Glenn O’Shea (CH/AU) 226 Punkte
Zwei Runden zurück:
5. Leif Lampater / Christian Grassmann (DE) 144 Punkte
Sieben Runden zurück:
6. Andreas Graf / Andreas Müller (AT) 56 Punkte
Zehn Runden zurück:
7. Hansen / Hester (??) 107 Punkte
Zwölf Runden zurück:
8. David Muntaner / Sebastian Mora (ES) 110 Punkte
20 Runden zurück:
9. Wim Stroetinga / Adam Blythe (NE/GB) 91 Punkte
10. Alexander Aeschbacher / Jan Keller (CH) 75 Punkte
11. Martin Haceky / Alois Kankovsky (CS) 28 Punkte
25 Runden zurück:
12. Perizzolo / Horstmann (??) 66 Punkte
Rundenzeitfahren:
1. Franco Marvulli / Tristan Marguet (CH) 9,978 Sekunden (72,159 km/h)
2. Lasse Hansen / Marc Hester (DK) 10,047
3. Silvan Dillier / Glenn O’Shea (CH/AU) 10,573
5. Perizzolo / Horstmann (??) 10,495
6. Alexander Aeschbacher / Jan Keller (CH) 10,573
Autosprint (Skoda Rapid Wert 30‘000 Franken)
1. Franco Marvulli / Tristan Marguet (CH)
2. Leif Lampater / Christian Grassmann (DE)
3. Silvan Dillier / Glenn O’Shea (CH/AU)
Kilometer-Zeitfahren:
1. Franco Marvulli / Tristan Marguet (CH) 54,975 Sekunden ((66,484 km/h)
2. Wim Stroetinga / Adam Blythe (NE/GB) 56,86 Sekunden
3. Danilo Hondo / Roger Kluge (DE) 56,867 Sekunden
5. Silvan Dillier / Glenn O’Shea (CH/AU) 57,43 Sekunden
7. Alexander Aeschbacher / Jan Keller (CH) 57,643 Sekunden
11. Loïc Perizzolo / Samuel Horstmann (CH) 1:00,23
Américaine (100 Runden/20km)
1. Silvan Dillier / Glenn O’Shea (CH/AU)
Eine Runde zurück
2. Kenny de Ketele / Peter Schep (BE/NE)
3. Danilo Hondo / Roger Kluge (DE)
4. Franco Marvulli / Tristan Marguet (CH)
9. Alexander Aeschbacher / Jan Keller (CH)
12. Loïc Perizzolo / Samuel Horstmann (CH)
Schlussklassement Steher:
1. Giuseppe Atheni und André Dippel CH 12 Rangpunkte
2. Peter Jörg und Felix Weiss CH 12 Punkte
3. Patrik Kos mit René Kos NE 19 Punkte
4. Thomas Maag mit René Aebi CH 26 Punkte
5. Mario Birrer CH mit Schrittmacher Helmut Baur DE 27 Punkte
6. Florian Fernow und Thomas Baur DE 30 Rangpunkte
Steher 5. Etappe:
1. Mario Birrer CH mit Schrittmacher Helmut Baur DE
2. Peter Jörg und Felix Weiss CH
3. Giuseppe Atheni und André Dippel CH
4. Thomas Maag mit René Aebi CH
Schlussklassement Amateure:
1. Stefan Küng / Théry Schir CH 72 Punkte
Eine Runde zurück:
2. Didier Caspers / Melvin van Ziji NE 49 Punkte
Zwei Runden zurück:
3. Gaël Suter CH / Gert-Jan van Immerseel BE 52 Punkte
4. Jan Kraus / Denis Rugovac CS 30 Punkte
5. Jacub Filiü / Ondrej Ponikeleky CS 12 Punkte
6. Gianluca Ocanha CH / Matteo Alban IT 5 Punkte
7. Pascal Dieterich / Silvan Dietrich CH 0 Punkte
Drei Runden zurück:
8. Jacob Mörkov / Simon Bigum DK 8 Punkte
Vier Runden zurück:
9. Arend Keller / Lukas Spengler CH 4 Punkte
Sieben Runden zurück:
10. Jan André Freuler CH / Christian Kos NE 7 Punkte
Neun Runden zurück:
11. Christoph Imrek AT / Michal Mracek CS 0 Punkte
Amateure 5. Etappe:
1. Stefan Küng / Théry Schir CH 8 Punkte
2. Gaël Suter CH / Gert-Jan van Immerseel BE 8 Punkte
3. Didier Caspers / Melvin van Ziji NE 5 Punkte
6. Gianluca Ocanha CH / Matteo Alban IT 2 Punkte
7. Arend Keller / Lukas Spengler CH 1 Punkt
9. Pascal Dieterich / Silvan Dietrich CH 1 Punkt
10. Jan André Freuler CH / Christian Kos NE 0 Punkte
Dritte Nacht – Punkte für die Schweizer im Überschuss
Vor der alles entscheidenden Finalnacht des 56. Zürcher Sechstagerennen stehen die Zeichen für den Sieg des Deam-Team Franco Marvulli und Tristan Marquet super optimal. Den riesigen Punktevorsprung auf den Aargauer Silvan Dillier mit seinem australischen „Buddy“ erradelten sich die Schweizer Favoriten in den Kilometer-und Rundenzeitfahren. Die ersten sechs von acht Rennen entschieden sie zu ihren Gunsten. 90 Zähler konnten sie auf ihr Konto gutschreiben. Mit einem neuen Bahnrekord über eine Runde (9,922 Sekunden / 72,566 km/h) brachte Showman Marguet die 6000 Fans zum ausflippen. OK-Chef Max Hürzeler musste daher 1000 Franken springen lassen, da er nicht glaubte, dass jemand die 200 Meter unter 10 Sekunden abstrampeln könne.
Kurz vor Mitternacht konnten mit viel Glück die beiden „Liebliengsgespanne“ Marvulli/Marguet und Dillier/O’Shea 400 Meter vor Ende der 60 Km Jagd gemeinsam einen doppelten Rundenverlust verhindern. Für die Finalnacht eine wichtige Basis. Die Platzhirsche Marvulli/Marguet führen vor den rundengleichen Hondo/Kluge DE und De Ketele BE/Schep NE.
Stand vor der Finalnacht:
1. Franco Marvulli / Tristan Marguet (CH) 221 Punkte
2. Danilo Hondo / Roger Kluge (DE) 127 Punkte
3. Kenny de Ketele / Peter Schep (BE/NE) 104 Punkte
Eine Runde zurück:
4. Silvan Dillier / Glenn O’Shea (CH/AU) 163 Punkte
Zwei Runden zurück:
5. Leif Lampater / Christian Grassmann (DE) 99. Punkte
Fünf Runden zurück:
6. Andreas Graf / Andreas Müller (AT) 51 Punkte
16 Runden zurück:
10. Alexander Aeschbacher / Jan Keller (CH) 58 Punkte
19 Runden zurück:
12. Perizzolo / Horstmann (??)
Vor der Finalnacht der Amateure – Schaffen es Küng/Schir mit der Brechstange?
Die Strategie der Spitzenteams in der 3. Etappe war rasch klar, es mussten endlich Rundengewinne aufs Tapet. Dementsprechend folgten sich die Attacken beinahe im Minutentakt. Interessant zu beobachten waren beim oftmals unübersichtlichen Runden wirbel die unterschiedlich gewählten Methoden. Während man bei Stefan Küng den Eindruck gewann, es müsste mit der Brechstange zu machen sein, erwiesen sich die Gent-Sieger Kraus/Rugovac als clevere Taktiker. Sie nutzten einen optimalen Moment und legten beinahe unbemerkt in kürzester Zeit eine halbe Bahnlänge zwischen sich und die Konkurrenz. Entscheidend weg kamen aber auch sie nicht. Dies gelang dann kurze Zeit später Küng/ Schir und den Holländern Caspers/ van Zijl. Eigentlich war dies zu erwarten. Was aber überraschend kam war, dass sich die jungen Zürcher Oberländer Zwillingsbrüder Pascal und Silvan Dieterich ein Herz fassten, die Verfolgung aufnahmen und schlussendlich den Anschluss und den Rundengewinn schaff ten. Hätte jemand eine Prämie für die mutigsten Angreifer im Oval aufgeworfen, die sympathischen Hittnauer hätten sie sich mehr als verdient. Leider zollten sie später dem Eff ort Tribut und verloren die gewonnene Runde wieder, aber die Erfahrung die sie dabei gemacht haben, kann ihnen niemand mehr nehmen. Gespannt darf man sein, wie die jungen Athleten die Doppelbelastungen mit zwei Teilstücken am gleichen Tag in der Freitag- und Samstagnacht verdauen werden. Bei diesen „Vollgaspiloten“ kriegt man auf jeden Fall nie den Eindruck, dass sie sich während eines Einsatzes damit beschäftigen und oekonomisch mit ihren Kräften haushalten. Soviel steht aber schon heute fest: Wir dürfen uns auf ein spannendes Teilstück Nummer 5 und ein ebensolches Finale freuen.
Reportage: A. Derungs / Quelle: www.siydays-zuerich.ch
Bilder: Andrea Derungs