Zum Anlass des 75. Jubiläums der Schweizer Musikszene produzierte die Mesch & Ugge AG für SF eine filmische Zeitreise in drei Teilen, welche nun zur Ausstrahlung gelangt. (ab Ende Oktober).
Die Reise beleuchtet als erstes die Krisenjahre der frühen Dreissiger, als das Radio so richtig lanciert wurde und nicht nur als Informationsquelle diente, sondern auch erstmals als Unterhaltungsmedium entdeckt wurde. Mit der Inbetriebnahme des Senders Beromünster, kurz darauf der Einführung der ersten Aufzeichnungstechniken auf kommerzieller Ebene, drang die Musikgeschichte in der Schweiz zum ersten Male in das Bewusstsein der Bevölkerung.
Wichtige Namen dieser ersten Zeit des Mundartpops waren Arthur Beul und die Geschwister Schmid „Über de Gotthard flüged d`Brähmä“, welche anlässlich der Weltausstellung in Paris 1937 weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt wurden. Beulsche Kompositionen erfuhren Interpretationen bis in die Neuzeit (Vera Kaa…)
Das Zeitgeistliche war und ist, speziell in der Schweiz schon immer auf den Alltag heruntergebrochen. Beleuchtet die Sorgen, Ängste und Nöte der jeweiligen Musikepoche auf zum Teil humorvolle Weise, was zu einem späteren Zeitpunkt in der Verschmelzung von Musik und Cabaret mündet, dies unter Aufarbeitung von zum Teil politischen und staatskritischen Themen. Diesem Umstand wird in dieser äusserst sorgfältig und liebevoll zusammengestellten Dokumentation vollauf Rechnung getragen und beleuchtet meistens parallel, Entwicklungen auf Musik- und Kleinkunstbühnen.
In den Nachkriegsjahren entdeckten die Schweizer mit der wieder gefundenen Fröhlichkeit, auch erneut ihre Reiselust, mit dem Traumziel Frankreich. So erstaunte es auch nicht weiter, dass zum ersten Mal nach dem zweiten Weltkrieg auch ein Bewusstsein für die ausländischen Kulturschaffenden entstand (Gréco, Brel, Montand…). Zu diesem Zeitpunkt fand eine erste Beeinflussung der Musik statt, mit eigenständigen Melodien. Das Mundartchanson war geboren.
So war ein wichtiger Vertreter dieser frühen sechziger Jahre Mani Matter, welcher die Schweizer Musikszene und im speziellen die Berner Szene, nachhaltig beeinflusst hat. Die Rechtsstaatlichkeit wurde hinterfragt. Es entwickelte sich Bern als Zentrum des Chansons. Zeitgleich entdeckte man in Zürich das Mundartcabaret. Grössen dieser Zeit waren Persönlichkeiten wie Zarli Carigiet, Ruedi Walter und Margrit Rainer. Gleichzeitig kamen Jazzgrössen wie Louis Armstrong ab 1959 regelmässig in die Schweiz und gaben vielbeachtete Konzerte mit nicht immer unproblematischem Ausgang.
In den Sechzigern dann die Elektrorevolution mit immer härteren Beats, welche zum ersten Erscheinen von Mundartgruppen mit dem neuen Musikstil führt. Urs Hofer wurde zu Polo Hofer, welcher sich diesem Thema bereits früh annahm und von da an Präsent blieb. Kein Wunder das hier der Mundartrock entstand und mit Frontmann Polo Hofer, „Rumpelstilz“ , neben „Span“ den Mundartrock in der Nachhippie-Zeit weiter etablierten. Daneben befanden sich Gruppen wie „Les Sauterelles“ mit Toni Vescoli eher in der Endphase und lösten sich auf. Vescoli nutzte diesen Zeitpunkt aus, um sich neu zu erfinden.
Anfang der Siebziger produzierte das Schweizer Fernsehen ihre erste Soap mit den gesellschaftspolitisch kritischen „Minstrels“ als Hauptdarsteller. Dazwischen produzierten Musiker wie Dominique Grandjean Titel wie „Campari Soda“, die es sehr schwer hatten und nur sehr viel später ins Hörfeld des Musikinteressierten drängten. Ende der Siebziger dann der Beginn der „Bewegung“ rund ums AJZ in Zürich und erscheinen der ersten Mundartpunk Gruppe „TNT“. Der Mundartpunk etablierte sich aber nicht und die „Bewegung“ entpuppte sich als kurzzeitige Erscheinung.
Daneben produzierte sich die Kleinkunst in der Schweiz, was sich auch in den Produktionen des Schweizer Fernsehens zu der Zeit widerspiegelte. 1985 war Polo National mit seinem Hit „Giggerig“ und „Züri West“ mit Kuno Lauener ein erstes Mal mit „Sri Lanka“ zu hören, ihrem Start zur Karriere.
Die Achtziger waren auch ein Jahrzehnt der Festivals im Grünen. Die Mundartmusiker wurden zum Gegenpol zur ausländischen „Englischsprachlichkeit“.
In den Neunzigern dann tritt, wen wundert es, wieder ein Berner auf die Schweizer Musikbühne Marco Pfeuti alias „Gölä“ mit seinem unvergesslichen „Schwan“ und weiteren „Büezerliedern“. Als Gruppe „Patent Ochsner“, welche nicht weniger für Schweizer Erfolgsmusik stehen. Züri West produziert 1994 „Ich schänke dir mis Herz“ und zehrt bis Heute von diesem Riesenhit. Der noch unbekannte Michael von der Heide belebt das Mundartchanson neu mit seinen „Ohrewürm“ neben Stephan Eicher, der Riesenerfolge in Frankreich feiern konnte, auf Berndeutsch mit einem Mani Matter Song, notabene. Und wieder Polo, mit „Alperose“.
Jahrtausendwende bedeutet Mundartrap; Bligg, Stress, Kutti MC, Gimma und Castingshows. Baschi, der zur Teilnahme an der Fussball WM 2006 die inoffizielle Hymne beisteuerte, war nicht der Sieger, aber bis heute der mit Abstand erfolgreichste Musiker, der aus einem solchen Format hervorging.
In der Neuzeit wurden die Elemente von 75 Jahren Musik wieder aufgegriffen. Elemente wie Jodel, Instrumente wie Hackbrett, die eigentlich bisher nur in der volkstümlichen Szene ihren Platz gefunden hatten, wurden 2007 durch Marco Bliggensdorfer alias „Bligg“ in seiner Rapmusik verwertet und mit grossem Erfolg umgesetzt…
Diese dreiteilige Dokumentation zeigt eindrücklich die lebendige Musikszene in einem kleinen Land, wo zwar eine Beeinflussung von aussen immer wieder stattgefunden hat, derer aber die kleine Szenenwelt unbeirrt blieb, dank der Namen die sich über Jahrzehnte wie ein roter Faden durch das künstlerische Schaffen zogen. SF beleuchtet hier sehr gradlinig und klar mit einer Fülle von Archivmaterial das Geschehen der letzten 75 Jahre „Musikschweiz“, was diesen Dreiteiler zum informativ-audiovisuellen Erlebnis werden lässt.
Ausstrahlungstermine
SF1: Sonntag, 31. Oktober 23:30, Sonntag, 7. November 23:40, Sonntag, 14. November 23:30.
SF Info: Samstag, 6. November 23:30, Samstag, 13. November 23:40, Samstag, 20. November 23:30.
Feuilleton & Bilder Viewpointimage von D.Peter/Linsenreflektion.ch