„…Mose aber hütete die Schafe Jethros seines Schwiegervaters des Priesters in Midian. Und er trieb die Schafe über die Wüste hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb. Da erschien ihm der Engel des Herrn in einer Feuerflamme mitten aus dem Dornbusch. Und als er hinsah, siehe, da brannte der Dornbusch im Feuer, und der Dornbusch wurde doch nicht verzehrt. Da sprach Mose: Ich will doch hinzutreten und diese große Erscheinung ansehen, warum der Dornbusch nicht verbrennt! Als aber der Herr sah, daß er hinzutrat, um zu schauen, rief ihm Gott mitten aus dem Dornbusch zu und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich! Da sprach er: Tritt nicht näher heran! Ziehe deine Schuhe aus von deinen Füßen; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliges Land…“ Moses II (Exodus), Kaptitel 3)
Es ist heiss, die Luft flimmert und nur das Wispern des alten Beduinen ist in der unendlichen Stille der Wüste zu hören. „…ein heiliger Ort – heilig für drei grosse Weltreligionen, Judentum, Christentum und Islam. Hier begegnen sich auch die Kulturgeschichten der drei grossen Religionen…“, er räuspert sich leise und fährt fort. „Laut Legende wurde das Kloster an der Stelle des brennenden Dornenbuschs errichtet und ein Engel soll die sterblichen Überreste der heiligen Katharina von Alexandrien überführt haben. Schon im vierten Jhd. entstand hier eine Marienkapelle und ein kleines Mönchskloster. Als eigentliche Gründungsjahre wird die Zeit von 548 bis 565 gesehen. Seit dem 14. Jhd. ist es benannt nach der heiligen Katharina.
Unter dem Schutz von Mohammed, Napoleon, ägyptischen Koenigen und dem Staat
Das heutige Kloster wurde unter dem oströmischen Kaiser Justistian I (482 – 465) als Schutz für die vielen Einsiedlermönche gebaut. Der Prophet Mohammed soll einige Male zu Gast im Kloster gewesen sein und nach seinem politischen Aufstieg erhielt das Kloster von ihm eine Schutzgarantie, die im Laufe der Jahrhunderte von fast allen islamischen Herrschern anerkannt wurde. Eine Kopie dieses Briefes zeige ich dir später im Museum, denn das Original liegt in Istanbul“, wispert der alte Beduine.
„Im 11. Jhd. drohte der Kalif Al-Hakim das Kloster zu zerstören. Die Mönche errichteten auf dem Klostergelände eine kleine Moschee und konnten so der Zerstörung entgehen. Ein weiterer Schutzbrief wurde dem Kloster von Napoleon Bonaparte gewährt. Heutzutage steht das Kloster unter dem Schutz des ägyptischen Staatspräsidenten. So wurde das Katharinenkloster, sicher auch bedingt durch seine isolierte Lage, seit seiner Gründung nie überfallen und konnte bis heute seine Autonomie bewahren.
Das Kloster bildet zusammen mit dem Nonnenkloster im Wadi Pharan und den Familien im Küstenort at-Tur, die kleinste der autonomen orthodoxen Kirchen. So ist auch der Abt des Klosters der Erzbischof vom gesamten Sinai, Pharan und at-Tur. Rechtlich untersteht es dem Patriarchen in Jerusalem, der den von den Mönchen des Klosters gewählten Abt zum Erzbischof weiht.“
Die zweitgrösste christliche Bibliothek
Wir treten in das kleine Museum, das die Schätze des Kloster erahnen lässt. Die Bibliothek ist wahrscheinlich die älteste des Christentums und besitzt ca. 6000 Handschriften in den unterschiedlichsten Sprachen, darunter georgisch und äthiopisch. Um die Hälfte der Schriften stammen aus der Antike, einige sind älter als das Kloster selbst und nur der Vatikan kann einen grösseren Umfang an Schriften aufweisen. Die Zahl der Ikonen beläuft sich auf ca. 2000.
UNESCO Welterbe Kategorien 1, 3, 4 und 6
Im Jahr 2002 wurde das Kloster auf die UNESCO Welterbe-Liste gesetzt. Es erfüllt damit das Kriterium 1 (Meisterwerk der menschlichen Schöpferkraft), Kriterium 3 (außergewöhnliches Zeugnis von einer kulturellen Tradition), Kriterium 4 (hervorragendes Beispiel eines Typus von Gebäuden, architektonischen oder technologischen Ensembles oder Landschaften, die einen oder mehrere bedeutsame Abschnitte der Geschichte der Menschheit versinnbildlichen) und Kriterium 6 (überlieferte Lebensformen, mit Ideen oder Glaubensbekenntnissen oder mit künstlerischen oder literarischen Werken von außergewöhnlicher universeller Bedeutung verknüpft). Jährlich besuchen ca. 50.000 Personen das Kloster.
Wir entfernen uns langsam vom Kloster in Richtung Berg Sinai oder auch Moses Berg oder ‚Djebel Mosa’, genannt. Jede Nacht machen sich die vom Kloster auf dem Weg, um den heiligen Berg zu besteigen. Auf dem Berg empfing laut alten Testament Moses die zehn Gebote. Hier kommen auch die drei Weltreligionen wieder zusammen, denn die Toleranz untereinander existiert hier seit der Gründung des Klosters.“ Langsam schlägt der Beduine, die alte Bibel auf. Ich schaue in das von Furchen gezeichnetes zeitloses Gesicht. Mein Blick fällt auf den „heiligen Berg“ während ich dem Wispern des Beduinen lausche….
„Aber der ganze Berg Sinai rauchte, weil der Herr im Feuer auf ihn herabstieg. Und sein Rauch stieg auf wie der Rauch eines Schmelzofens, und der ganze Berg erbebte heftig. Und der Hörnerschall wurde immer stärker. Mose redete, und Gott antwortete ihm mit lauter Stimme. Als nun der Herr auf den Berg Sinai, oben auf den Gipfel des Berges herabgekommen war, rief er Mose hinauf auf den Gipfel des Berges. Und Mose stieg hinauf.“