… und du hast die Welt gesehen – UNESCO Welterbe: Islamische Altstadt von Kairo

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Eine Stadt so alt wie ihre Geschichten. Eine Stadt, die schon immer die Phantasien der Geschichtenerzähler beflügelte. Eine Stadt, die schon in den Märchen aus 1001 Nacht eine Rolle spielte. Eine Stadt umhüllt von Legenden und Mythen.

„Wer Kairo nicht gesehen hat, hat die Welt nicht gesehen. Ihre Erde ist aus Gold, ihr Nil ist ein Wunder, ihre Frauen sind wie schwarzäugige Jungfrauen aus dem Paradies, ihre Häuser sind Paläste, ihre Luft ist weich und duftend wie Aloeholz. Und wie könnte Kairo anders sein, ist es doch die Mutter der Welt.“ flüstert Scherezâd, die wunderschöne Erzählerin aus den Geschichten 1001 Nacht. „So habe ich die Stadt dem König Schehrijâr beschrieben…..“


Geschäftiges Treiben

„Die legendäre Altstadt scheint aus Märkten und Moscheen zu bestehen, von denen einige aus dem 9. Jh. stammen. Der berühmteste Markt Chan-el-Chalili ist nicht nur ein Touristenmarkt, er wird auch heute noch von Ägyptern besucht. Vor 600 Jahren war er nur einer von 30 Märkten,“ erklärt mir meine märchenhafte Begleiterin. „Schlächter und andere Händler hatten in dieser Zeit hier ganz in der Nähe vom Stadttor Bab-el-Futuh ihre Stände und noch heute ist das Stadttor berühmt für seine Knoblauchstände.“ Während wir zwei langsam weiter über den Bazar schlendern, vorbei an Gewürzständen, bunten Parfümflaschen, braunen Taschen und funkelnden Schmuckgeschäften kann ich die so typische arabische Handelsatmosphäre spüren.

„Kairo oder al Kahira, wie die Stadt auf arabisch heisst, wurde reich durch den Gewürzhandel. Gewürze sind von göttlicher Herkunft. Nach einer Legende sind diese direkt aus dem Paradies auf die Bäume gefallen, die der Nil mitgerissen und nach Ägypten geschwemmt hat.“ Wir verlassen das bunte Treiben durch die angrenzenden Strassen. Hier befindet sich die berühmte Midaq-Gasse, deren Bewohnern ein ganzes Buch vom Nobelpreisträger für Literatur, Naghib Mahfouz, gewidmet ist.

„Vom weitgereisten arabischen Gelehrten Ibn Chaldun wird Kairo ‘die heilige Stadt des Islams, `genannt. Eine Moschee reiht sich an die andere, neu an alt, alt an neu. Fünfmal am Tag versammeln sich die Gläubigen, um zu beten und die Stimmen der Muezzins ertönen aus allen Strassen. Al Azahr, die Blühende, ist die islamische Universität und Autorität der sunnitischen Mosleme. Was der Vatikan für die Katholiken ist, ist Al Azahr für die Sunniten.“

“Ibn Tulun, Sultan Hassan, Mohammed Ali – Moscheen umwoben von Legenden, auf immer verknüpft mit der Geschichte dieser Stadt, erzählt Scherezâd mit leuchtenden Augen. „Die Familie des Propheten hat sich hier jede Nacht auf dem Platz versammelt, auf dem der türkische Stadthalter Ibn Tulun später die gleichnamige Moschee errichten liess. Den Baustil der Moschee, die mehr einer Festung gleicht, hatte Ibn Tulun aus seiner Heimatstadt Sâmarrâ, dem heutigen Irak, übernommen.“


Altägyptischer Brauch und Islam

„Und dann gibt es in Kairo noch etwas ganz besonderes. Totenstädte! Einzigartig in der arabischen Welt. Diese Totenstädte gehen auf einen altägyptischen Brauch zurück, den die Mamlukenherrscher übernahmen. Anstelle von Pyramiden oder unterirdischen Grabkammern, liessen die Herrscher schon zu Lebzeiten prächtige Grabmoscheen errichten. Kleinere Häuser wurden als Gräber für die Beamten errichtet. Leider lebt heute in denTotenstädten die arme Bevölkerung Kairos.“ Scherezâd Stimme nimmt einen traurigen Klang an.

„Die Mamlukenzeit im 14. Jh. galt als das goldene Zeitalter Kairos. Allerdings herrschte neben dem Reichtum auch Chaos, der zu unzähligen Meuchelmorden an den Sultanen führte. Jeder Sultan hinterliess eine Moschee und in den Jahren 1320 bis 1340 wurden 40 Moscheen von den Sultanen erbaut, denn jeder wollte sich ein eigenes Denkmal mit seiner Grabstätte setzen. Als bekannteste Moschee dieser Epoche gilt die Sultan Hassan Moschee, die 1391 von einer rebellierenden Mamlukenfraktion in eine Festung umgewandelt wurde, um die Zitadelle anzugreifen Die Eingangsfassade der Sultan Hassan Moschee ist 36 Meter und ihr größtes Minarett 80 Meter hoch. Beeindruckend ist der gewaltige, schnörkellose Innenhof mit dem Waschpavillion. Die gegenüberliegende Rifai-Moschee ist ein gerade 100 Jahre alter Nachbau im pseudomameluckischen Stil. Hier ruhen die sterblichen Überreste der Könige Fuad und Faruk sowie des im Exil verstorbenen letzten Schahs von Persien.“

Von der Sultan Hassan Moschee schauen meine Begleiterin und ich auf die mächtige Zitadelle, die von Saladin vor ca. 800 Jahren erbaut wurde. Im 19. Jh. wurde die Alabaster Moschee nach dem Vorbild der blauen Moschee in Istanbul errichtet.

 

Mehr als 600 Gebäude der Islamischen Altstadt hat die UNESCO als besonders erhaltenswert eingestuft aufgrund von Kriterium 1 („Meisterwerk der menschlichen Schöpferkraft“), Kriterium 5 („hervorragendes Beispiel einer überlieferten menschlichen Siedlungsform, Boden- oder Meeresnutzung, die für eine oder mehrere bestimmte Kulturen typisch ist, oder der Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt, insbesondere, wenn diese unter dem Druck unaufhaltsamen Wandels vom Untergang bedroht wird“) und Kriterium 6 (unmittelbarer oder erkennbarer Weise mit Ereignissen oder überlieferten Lebensformen, mit Ideen oder Glaubensbekenntnissen oder mit künstlerischen oder literarischen Werken von außergewöhnlicher universeller Bedeutung verknüpft).

 

Der Tag neigt sich dem Ende zu und Bilder von Märkten, Moscheen und Menschen ziehen weiter an meinen Augen vorbei, unterrmalt von der sanften Stimme meiner Begleiterin.  Es ist spät, aber auf den Strassen der historischen Stadt Kairo zwischen den Stadttoren el-Ftuh im Norden bis zum südlichen Bab el-Zuweyla merkt man nichts von Müdigkeit. „Jetzt hast du die Welt gesehen, denn du hast Kairo gesehen“, sagt Scherezâd, lächelt und verschwindet in der Menschenmenge….

Photos & Story: Sabina Herbst