Am ersten Abend des Sechstagerennens gewinnt Silvan Dillier zusammen mit Glenn O’Shea Australiendie Eröffnungs-Américaine, Franco Marvulli/Tristan Marguet doppeln mit einem „Weltrekord“ nach.
Leider nur „nice to know“
Beim erstmals bei den Sixday Nights ausgetragenen 1000-m-Zeitfahren gelang dem Gespann Marvulli/Marguet der 54,278 Sekunden Clou. Mit einem 66,325 km/h Schnitt eine weltmeisterliche Leistung Für Marvulli, war sofort klar: „Das ist Weltrekord. So schnell war noch nie jemand auf der Bahn. Bisher war die Bestzeit für so eine Prüfung etwas über 55 Sekunden, gefahren in Kopenhagen“. Eine offizielle Weltrekordliste für ein Kilometerzeitfahren mit Ablösung gibt es leider nicht. Die Längen der Bahnen in den europäischen Sixday-Tempeln variieren zwischen 166 und 250 Metern (Zürich 200 m). Im Vergleich zum Einzel-Weltrekord des Franzosen Arnaud Tournant (58,875 Sekunden) ist die Leistung der Zürcher Lokalmatadoren spektakulär.
Schurter und Süss sind die Radsportler des Jahres – Swiss Cycling Awards 2012
Ein Hauch von Oscar-Verleihung am Eröffnungsabend der Sixdays 2012. Bereits zum vierten Mal verlieh der Schweizer Radsportverband Swiss Cycling die wichtigste Auszeichnung des Jahres. Der Dominator der Saison 2012 im MTB Cross Country, Nino Schurter, aber auch die Mountainbikerin Esther Süss, holten sich die begehrte Auszeichung. Tom Bohli wurde zum besten Nachwuchsfahrer gewählt. Besondere Ehre auch für Tristan Marguet, Silvan Dillier, Loïc Perizzolo, Claudio Imhof und Cyrille Thiéry. Der Bahnvierer mit dem Ziel Olympia 2016 in Rio holte den Titel als beste Mannschaft des Jahres. Zum Team vereint posieren sie auf dem Podium, dann ging es für drei der fünf Fahrer wieder zum schweisstreibenden «Jeder gegen jeden» auf die200-Meter lange Piste. Imhof fällt in diesem Jahr aus gesundheitlichen Gründen (Pfeiffersches Drüsenfieber) aus. 2012 war insgesamt ein sehr erfolgreiches Jahr für den Schweizer Radsport. Nicht weniger als 39 Medaillen wurden im vergangenen Radsportjahr von 42 Schweizer Radsportlern an internationalen Grossanlässen gewonnen.
Wenn der Steher nicht steht und der Schrittmacher nicht schreitet – Der Fahrtwind als zusätzlicher Gegner
Wenn die Halle erfüllt ist von Motorengebrumm. Wenn schwarz gewandete Männer im 70 km/h-Tempo ihre Runden ziehen und dabei auf ihren 850-ccm-Yamaha-Töff s nicht sitzen, sondern stehen. Wenn sie in unregelmässigen Abständen den Kopf zur Seite drehen, um aus dem Augenwinkel zu prüfen, ob sich der Rennfahrer noch im Luftsog ihrer Maschine befindet. Dann ist die hohe Zeit der Steher. Sie bestreiten in Zürich ihre eigenen Sixday-Nights. Der Mann auf dem Motorrad heisst Schrittmacher, obwohl er keine Schritte macht, sondern Tempo bolzt. Der Rennfahrer, der hinter ihm leidet, nennt sich Steher, obwohl er im Sitzen die Pedalen wirbeln lässt, die ihn pro Umdrehung acht Meter und mehr vorwärts bringen. Der Begriff Steher ist abgeleitet von „durchstehen“ oder „Stehvermögen“, denn in den grossen Zeiten der Steherei wurde auf den Offenen
Rennbahnen, auch in Oerlikon, über Distanzen bis 100 km gefahren. Bei den hohen Tempi ist der Luftwiderstand der zentrale Punkt. Je näher sich der Rennfahrer hinter dem Schrittmacher befindet, desto weniger ist er dem kraftraubenden Fahrtwind ausgesetzt. Die Distanz zwischen Schrittmacher und Steher wird einerseits definiert durch den Abstand der so genannten Rolle vom Töff und anderseits durch die technische Fähigkeit des Rennfahrers, so nah wie möglich an der Rolle zu fahren. Bei dieser handelt es sich um einen waagrechten Metallstab, der sich mitdreht, wenn er vom Vorderrad des Velos berührt wird. Ungewöhnlich ist auch das Velo konstruiert. Das Vorderrad, dessen Gabel nach hinten gebogen ist, weist einen bedeutend kleinern Durchmesser auf als das Hinterrad, der Sattel befindet sich auf Tretlagerhöhe – beides mit dem Ziel, den Rennfahrer näher an den Pacemaker rücken zu lassen. Einer, der mit den Tücken der Steherei bestens vertraut ist, ist Max Hürzeler. Der inzwischen 58-jährige Mitveranstalter der Sixday-Nights wurde 1987 in Wien Weltmeister und sammelte acht Schweizermeistertitel. Immer an der Rolle des vor zwei Jahren verstorbenen Ueli Luginbühl, dessen Andenken am Freitag der erste Steherlauf gewidmet ist. Da die Verständigung während des Rennens sehr erschwert ist, beschränkten sich die beiden auf zwei Stichworte. Hürzeler: „Wenn ich ‹Ueli› schrie, dann wusste er, dass ich noch nicht bereit war oder nicht mehr schneller konnte. „Allez“ habe ich nicht oft gerufen, denn die Schrittmacher haben ohnehin die Tendenz, ein höheres Tempo anzuschlagen, als es dem Rennfahrer lieb ist“.
Furchterregende Stürze und hohes Tempo – Stefan Küng/Théry Schir gewannen die 1. Etappe der Amateure
Die Amateure legten von Beginn weg ein forsches Tempo vor. Zahlreiche Stürze blieben zum Glück ohne gravierende Folgen. Schon nach wenigen Runden erfolgten die ersten Attacken, die aber nicht fruchteten. Nach einem Drittel der Distanz griff en dann erstmals die designierten Favoriten Stefan Küng/Théry Schir an. Die Américaine-Europameister 2011 bei den Junioren schienen bestrebt schon frühzeitig eine gewisse Hierarchie im Feld herzustellen. Die Prämie für den ersten Solorundengewinn gewannen sie allerdings nicht.Die Konkurrenz liess sie nicht ziehen. Zehn Runden später versuchten es die beiden nochmals. Schon bald hatten Küng/Schir eine halbe Bahnlänge Vorsprung. Doch die Mannschaften Suter/Van Immerseel, Caspers/Van Zijl und May/Mould schafften den Anschluss wieder. Das Spitzenquartett harmonierte aber nicht richtig, so dass das Feld wieder aufschloss. Damit musste die Entscheidung in den drei Spurtwertungen fallen, in denen fünf, drei, zwei und ein Punkt zu gewinnen sind. Hier zeigten Küng/Schir ihre Endschnelligkeit und gewannen die ersten beiden Wertungssprints überlegen. Damit legten sie bereits den Grundstein zum Gewinn der ersten Etappe. Den zweiten Rang sicherten sich Gaël Suter und sein belgischer Partner Gert-Jan von Immerseel. Nach der ersten Etappe sind noch acht Teams in der Nullrunde, was auf ein ausgeglichenes Stärkeverhältnis im Feld hinweist. Leider ereigneten sich in der nervös verlaufenden ersten Etappe einige Stürze bei hohem Tempo. Glücklicherweise wurde niemand ernsthaft verletzt. In der Pause bis zum nächsten Start werden sich die gestürzten Fahrer von den Blessuren und dem Schrecken erholen.
Der 21-jährige Profidebutant Jan Keller „Ich möchte ohne Doping an die Spitze“
Mein erstes Sechstagerennen als Profi. Ich gebe zu, ich bin schon etwas nervös. Aber ich habe mich gut vorbereitet. Die letzten Trainings waren voll auf Schnelligkeit und Ausdauer ausgerichtet. Ich trainierte viel auf dem Hometrainer, doch das Haupttraining fand in Spanien statt. Dort haben wir „Autotraining“ gemacht. Mein Vater im Auto, ich mit dem Velo hinterher. Manchmal eineinhalb Stunden lang. Das ist meiner Meinung nach ein sehr gutes Training. Im Windschatten eines Autos krampfen ist aber auch gefährlich, das bin ich mir bewusst. Vor allem an Rotlichtern und Kreuzungen kann die Situation schon brenzlig werden. Da muss auch der Radfahrer mal den Kopf bei der Sache haben und nicht nur in die Pedalen treten. Mein Vater drückt jeweils mächtig aufs Gas und wir fahren mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von rund 50 Stundenkilometern. Da bläst einem der Wind um die Ohren und man ist voller Konzentration. Mein Vater ist mein Trainer. Er hat eine Ausbildung zum Trainer bei Swiss Olympic gemacht. Das ist super so, denn zwei meiner drei Brüder fahren auch Velo, so sind wir sozusagen ein Trainings- Team. Mein Bruder Chiron (17) fährt auf der Strasse und Arend (19) fährt dieses Jahr zum ersten Mal bei den Amateuren. Unser kleinster Bruder Bjarne (16), der spielt Fussball. Unsere Mutter arbeitet bei Sprüngli, schmeisst zu Hause den Betrieb und ist natürlich unser grösster Fan. Sie füllt alle Wasserflaschen und wäscht und wäscht und wäscht… Als Frau im Haus hat sie es auch nicht immer ganz einfach mit uns. Geb ich zu. Als ich neun Jahre alt war fuhr sie mich zu den BMX-Rennen und harrte an der Piste aus. Doch beim BMX war mir das Verletzungsrisiko einfach zu gross. Mann gegen Mann, das ist nicht mein Ding. Ich merkte bald, dass mir für BMX die Statur fehlt. Ich bin eher gross und nicht so kräftig. Die BMXler sind mächtige Kerle. Mein Vater übrigens war Mountainbiker, bei den Amateuren. Seit fünf Jahren fahre ich auf der Bahn. Es macht unglaublich viel Spass auf der Bahn zu fahren. Die Atmosphäre, die Leute, die Musik. Das ist cool. Es gefällt mir, mich mit anderen Fahrern zu messen. Und wenn man Erfolg hat, dann will man immer mehr. Mein Ziel ist klar: Ich möchte eines Tages Radprofi werden und von meinem Sport leben können. Momentan arbeite ich noch 60 Prozent als Polygraf. Diesen Beruf habe ich gelernt. Ich habe einen super Chef, nur so ist es überhaupt möglich, neben der Arbeit Spitzensport zu betreiben. Was mich nachdenklich macht, ist die ganze Dopingproblematik in unserem Sport. Ich möchte eines Tages „sauber“ eine Etappe einer Tour gewinnen können. Bei der Tour de France ist das nicht möglich. Das ist meine ganz persönliche Meinung, aber vielleicht ändert sich das ja mal. Aber bei der Tour de Suisse sollte ein „sauberer“ Sieg möglich sein. Ich möchte ohne Doping an die Spitze kommen. Ich bin mir bewusst, dass ich mir die Spitze selber definieren muss. Ist es die Tour de France, oder die Tour de Suisse? Schlussendlich liegt es in meiner Hand. Doch nun muss ich erst mal ein kurzfristiges Ziel erledigen: Die Spitzensport-RS nächstes Jahr. Ich habe das Militär hinausgezogen und hinausgezogen. Auch mühsam. Doch wenn‘s vorbei ist, ist’s vorbei. Ich hoffe, dass ich während dem Militär genug zum Trainieren komme. Danach werde ich meinen Fokus voll auf Rio 2016 legen. Einmal bei Olympia dabei zu sein, das wäre mein Traum aller Träume. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Erst mal ein Etappenrennen gewinnen auf der Strasse und am Sixdays zusammen mit Alexander Aeschbach erfolgreich abschneiden. Das wär schon mal was!
Zürich Sixday Nights – Stand nach der 1. Nacht:
1. Leif Lampater/Christian Gramann (DE) 34 Punkte.
Eine Runde zurück:
2. Franco Marvulli/Tristan Marguet (CH) 68 Punkte.
3. Silvan Dillier/Glenn O’Shea (CH/AU) 63 Punkte
4. Danilo Hondo/Roger Kluge (DE) 36 Punkte
5. Kenny de Ketele/Peter Schep (BE/NL) 22 Punkte
Zwei Runden zurück:
6. Lasse Hansen/Marc Hester (DK) 26 Punkte.
Kilometer-Zeitfahren:
1. Marvulli/Marguet 54,278 Sekunden (66,325 km/h)
2. Dillier/O’Shea 56,249 (64,001)
Amateure:
1. Stefan Küng/Théry Schir (CH) 13 Punkte
2. Gaël Suter/Gert-Jan van Immerseel (CH/BE) 6 Punkte
3. Didier Caspers/Melvin van Zijl (NE) 5 Punkte
Steher:
1. Peter Jörg CH mit Schrittmacher Felix Weiss CH
2. Patrik Kos mit René Kos NE
3. Giuseppe Atzeni CH und André Dippel DE
4. Florian Fernow DE mit Schrittmacher Thomas Baur DE
5. Thomas Maag CH mit René Aebi CH
6. Mario Birrer CH und Helmut Baur DE
Bilder Swiss Cyclin Awards: D. Peter/Linsenreflektion.ch
Reportage: A. Derungs – Quelle: www.sixdays-zuerich.ch
Bilder: Andrea Derungs